Und am Abend „Der große Diktator“

Tatiana Montik
Автор
Tatjana Montik, журналист
Дата последнего обновления:
25 июля, 2023

Die weißrussische Opposition gibt sich unbeeindruckt vom voraussichtlich hohen Sieg Alexander Lukaschenkos bei der Präsidentenwahl. Sie feiert die Abstimmung als Anfang vom Ende des autoritären Regimes.

Florian Kellermann
und Tatjana Montik, Minsk


Das Wetter kam wie gerufen für den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko: Die Temperatur in der Hauptstadt Minsk fiel gestern, am Tag der Wahl, auf minus drei Grad. Dichtes Schneetreiben herrschte auf den Straßen. Schlechte Voraussetzungen für heißblütige Revolutionäre.

Schon in den Tagen zuvor hatte die Regierung alles getan, damit die Gegner des Präsidenten kalte Füße bekommen. Demonstranten gegen die erwarteten Wahlfälschungen wurden vorab als „Terroristen“ gebrandmarkt. Wer auf die Straße gehe, müsse mit einer langjährigen Gefängnisstrafe rechnen, erklärte der Leiter des Geheimdienstes KGB, Stepan Suchorenko. Eine anonyme SMS an alle Besitzer eines Mobiltelefons warnte vor einem „Blutvergießen“, das „Provokateure“ am Abend in der Innenstadt planten. „Für Stabilität“, so lautete der Wahlslogan von Präsident Lukaschenko. „Die meisten Menschen in unserem Land wollen Stabilität“, bestätigt Jurij Liwschitz, Leiter des Wahllokals in der 188. allgemein bildenden Minsker Schule. Der Wahlleiter nimmt das Ergebnis der Abstimmung damit nebenher bereits vorweg. Keine Kunst: In seinem Bezirk wie im ganzen Land hatten 30 Prozent der Wahlberechtigten bereits vor dem gestrigen Sonntag abgestimmt. Dazu wurden Mitarbeiter in Staatsbetrieben und Studenten in ihren Wohnheimen an die Wahlurnen gezwungen.

Nach Vermutung der weißrussischen Opposition werden diese Wahlzettel vernichtet – und durch Stimmen für Lukaschenko ersetzt. Ausländische Beobachter haben de facto keinen Zugang zu diesem Teil des Wahlvorgangs. Hinter den Mitgliedern der Wahlkommission in der 188. Schule, bei denen die Bürger ihre Wahlzettel bekamen, steht auf einem großen Schild: „Herzlichen Glückwunsch zum Feiertag“. Ein Feiertag? Die Menschen, die aus den himmelblauen Kabinen kommen und ihre Wahlzettel in die purpurroten Urnen werfen, wollen sich dazu nicht äußern. Ihre Wahl sei geheim, sagen die meisten. Trotzdem gibt ein regierungsnahes Umfrageinstitut bereits am Nachmittag bekannt, Lukaschenko werde von über 80 Prozent der Wähler unterstützt.

Vorsorglich hat die Regierung für gute Stimmung gesorgt: An Buffet Theken neben den Wahllokalen gibt es kostenlosen Kaffee. Lebensmittel werden zu ermäßigten Preisen verkauft. Die Opposition gibt sich trotz der sich abzeichnenden Niederlage optimistisch. „Lukaschenko soll sich ruhig 90 Prozent der Stimmen zuschreiben“, sagt der Kandidat der Sozialdemokraten, Alexander Kosulin, vor seiner Stimmabgabe in einer Minsker Schule. Der Großteil der Bevölkerung werde den offiziellen Zahlen ohnehin nicht glauben. Ähnlich äußert sich der aussichtsreichste Oppositionskandidat Alexander Milinkewitsch am Nachmittag bei einer Pressekonferenz: „Die Menschen werden über das Ergebnis lachen – für das Regime wird das der Anfang vom Ende sein.“ Ziel der Opposition sei es, eine Wiederholung der Wahl unter fairen Bedingungen zu erreichen.

Schon vor der Wahl war deutlich geworden, dass das Regime Lukaschenkos Demonstrationen fürchtet. Die Bilder der Orangen Revolution aus Kiew sind noch frisch in den Köpfen. Über 80 Wahlhelfer der Opposition werden am Wahltag verhaftet, einer von ihnen in Anwesenheit eines OSZE-Beobachters. Schon am späten Nachmittag sperren Sonderheiten der Miliz, die aus dem ganzen Land nach Minsk gebracht wurden, die Innenstadt großräumig ab. Das Staatsfernsehen warnt die Zuschauer vor einem Bürgerkrieg. Interviews mit verschüchterten Jugendlichen warden gezeigt, die angeblich in Georgien für den Straßenkampf geschult wurden und eine Revolte in Weißrussland planten. Die Furcht der Regierung sei durchaus berechtigt, sagt der Oppositionskandidat Milinkewitsch: „Wir haben die Herzen vieler Menschen erreicht und werden die Angst im Land brechen“, sagt er. Als erster Beweis des Erfolgs wird ein friedliches Ereignis gewertet: Zu einem Rockkonzert der Opposition am Samstag im Park der Völkerfreundschaft waren 5000 Jugendliche gekommen. „Wenn wir nicht auf die Straße gehen und demonstrieren, werden wir unsere Selbstachtung verlieren“, sagt Jewgenij Sitschkar, ein 23-jähriger Informatiker. „Für die Freiheit“ skandieren die Jugendlichen immer wieder, und: „Es lebe Weißrussland“. Als Milinkewitsch auf die Bühne kommt, kommt unter den Musikfans Jubel auf.

Allerdings hat das Regime am Wahltag ganze Arbeit geleistet. Die Gegner Lukaschenkos sind in Minsk von unabhängigen Informationen weitgehend abgeschnitten. Die meisten kritischen Internetseiten werden blockiert, darunter auch die des Oppositionsführers Milinkewitsch. Dutzenden ausländischen Wahlbeobachtern wird die Einreise verweigert. Lediglich einem lokalen Fernsehkanal gelingt es, ein nur leicht verschlüsseltes Zeichen des Protestes auszusenden: Im Abendprogramm läuft Charlie Chaplins Hitler-Satire „Der große Diktator“.

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