Magazintext | erschienen in Wienzeile 58 |
Im Verhältnis sind die meisten Städte, die man auf der Weltkarte findet, weder durch irgendwelche historischen Ereignisse noch durch besondere Sehenswürdigkeiten bekannt. Aus touristischer Sicht haben sie keine interessanten Besichtigungsobjekte und sind deshalb keiner Reise wert. Es sei denn, man kommt in so einen Ort durch einen Zufall. Es kann passieren, dass man bei so einem Zufall überrascht wird.
Die Halbinsel Krim, die beliebteste Sommerdestination der postsowjetischen Menschen, hat viele schöne und sehenswerte Orte. Alleine ihre Südküste kann für einen neugierigen Touristen zur Schatztruhe wunderbarer Entdeckungen werden. Sie birgt unzählige Geheimnisse in sich, die auch beim x. Besuch auf der Insel für neue Überraschungen sorgen. Auf romantischen Berghöhen trifft man hier und da auf verzauberte Höhlen, auf tief in den Höhen versteckte Wasserfalle und Flüsse. An kalten lichtarmen Wintertagen strebt die Seele eines jeden Krimliebhabers dorthin, wo es sich nach einer Wanderung so gut entspannen lässt – auf sonnenüberströmte Bergtäler, in den Schatten von hohen südlichen Lärchen und Bergkiefern, wo die Seele, dem erfrischendem Murmeln der Bergbäche lauschend, ihre vollkommene Ruhe findet.
In der kargen Krimsteppe des Landesinneren bietet die Stadt Armjansk nichts von derlei sagenhaften Eindrücken der Küstenregion. Nach Armjansk verirren sich keine Touristen. An Armjansk fahren die Touristen vorbei, wenn sie, von Ungeduld erfasst, ihr Urlaubsziel, die Schwarzmeerküste ansteuern. Nach diesem Muster haben auch wir gehandelt: Nichts wie raus aus dem grässlichen ukrainischen Winter! Nichts wie hin ins gelobte Land der Sonne und Berge! Entgegen dem Frühling, dem Meer und dem zarten Duft der blühenden Mandel- und Wacholderbäume! Doch durch einen unaufhörlichen Regen und schlechte Straßenverhältnisse ermüdet, sahen wir nach 10 Stunden Autofahrt von Kiew nach Jalta endlich ein: weiterzufahren im Dunkeln ist gefährlich und außerdem bringt es überhaupt nichts. Lieber legen wir jetzt, knapp 300 km vor Jalta, eine ungeplante Übernachtungspause ein und setzen unsere Fahrt am nächsten Morgen und mit frischen Kräften fort. Als nächster Ort auf unserer Route lag die Stadt Armjansk. Dort erkundigten wir uns bei dem nächsten Straßenpolizeiposten nach einer Übernachtungsmöglichkeit. In einem sehr einfachen Sporthotel am Stadion fanden wir recht schnell für jene Nacht eine Bleibe, jedoch kein Abendessen.
Die Bedienerin des Hotelcafes, die gleich vor unseren Augen im Begriff war zuzumachen, hatte mit uns immerhin Gnade und verkaufte uns eine Flasche Rotwein, die sie sogar für uns öffnete. Davon gleich im Cafe zu trinken wurde uns aber nicht gestattet: Das Personal sei müde und auf seinen Feierabend scharf, sagte man uns merklich gereizt. In der Nähe des Hotels solle es einen Markt geben, erfuhren wir an der Rezeption. Einen Markt, der angeblich auch in der Nacht offen habe.
Nicht ohne Skepsis machten wir uns auf den Weg: Um halb elf Uhr abends in einer Stadt wie Armjansk mit ihren vielleicht 3 000 Einwohnern etwas Essbares, geschweige denn einen Markt zu finden, auf dem es dazu noch etwas zu essen gibt – eine solche Vorstellung grenzte an ein Wunder.
Der verschlafene Hotelwächter, ein stark nach billigem Tabak und nach Alkohol riechender Mann, wachte auf der Stelle auf, als wir ihm fürs Bewachen (oder eher – wie es uns vorkam – fürs Nicht-Klauen) unseres Autos einen Geldschein in die Hand drückten. Schnell wurde er freundlich und hilfsbereit. Im Dunkeln geleitete er uns aus dem Hotelgelände zum Stadion und erklärte uns den Weg zum berühmten Nachtmarkt von Armjansk. Dessen Lichter waren zum Glück schon vom Stadiongelände gut erkennbar. Unsere Rotweinflasche in der Hand haltend, näherten wir uns dem Ort, wo wir unsere Energiereserven aufzufüllen hofften.
Das Bild, das sich uns eröffnete, überraschte. Um die späte Abendstunde war hier ein reger Betrieb. Der Markt bestand aus zwei mit Schiffer überdachten Reihen von knallig blauen Verkaufstheken, die mit einer schmutzigen Plastikfolie vom Wind geschützt wurden. Die Plastikfolie umwickelte die Theken von hinten und verband somit die Stände zu einer Art Halle, die von Glühbirnen beleuchtet wurde. Hinter den Theken standen eine neben der anderen mindestens 15 Verkäuferinnen. Vor ihnen lagen auf den Tischen hausgemachte Gerichte, eins verführerischer als das andere. Auf dem Boden waren Dutzende Einwegteller und andere Geschirrgegenstände zerstreut, mit denen sich die Marktgäste der Vortage wahrscheinlich zu verewigen hofften.
Sobald wir das Marktgelände betraten, wurden die Frauen von einer ungewöhnlichen Aktivität erfasst, indem sie ihre Ware laut und ausdrucksvoll und wie aus einem Munde anpriesen. „Frische Salate, Vareniki, Gulasch, Schnitzel, Kartoffelbrei und Plow!“ schrie die eine von ihnen. „Eingelegtes, Pelmeni, Salate und heiße Piroggen!“ versuchte die Nächste die Werbung ihrer Konkurrentin zu überstimmen. „ Tee, Kaffee, Torten, Kuchen, Pralinen und Gebäck!“ sang die Dritte wie im Akkord.
Weniger von den etwas verwirrend wirkenden Anpreisungen als eher vom Anblick der dargebotenen Köstlichkeiten lief uns das Wasser im Munde zusammen. Für meinen Teil war jedoch die Qual der Wahl stärker als der Hunger: So schnell darf ich mich doch nicht entscheiden, dachte ich, wer weiß, vielleicht verpasse ich womöglich etwas ganz Besonderes. Probierend arbeitete ich mich von einem Stand zum anderen vor. Die freundlichen Verkäuferinnen rüsteten mich jedes Mal mit einer Gabel aus und ließen mich von ihren bunten Salaten und Eingelegtem kosten. Nach drei Kostprobe-Anläufen verspürte ich bereits eine anfangende Sättigung, begleitet durch leise Gewissensbisse: „Jetzt aber musst Du Dich entscheiden, bevor du die Frauen um ihr Geld gegessen hast! Nimm Dir an Florian Beispiel: Geh auf gut Glück und lass dich sozusagen überraschen.“
Florians Beispiel folgend, ließ ich mich von einer der Frauen bewirten. Die Verkäuferinnen schafften es mit Hilfe ihrer zauberhaften „ Warmhaltetaschen“, in deren Funktionsweise wir uns leider nicht einweihen ließen, an jenem recht kühlen Märztag warme Gerichte zu servieren!..
Ausgestattet mit unseren appetitlichen „Kräftespendern“, wollten wir die Verkaufsreihen trotz des auffrischenden Windes auf keinen Fall verlassen. Stattdessen kauften wir zwei Plastikbecher für den Wein und stellten uns etwas abseits hin. Einerseits standen wir aufeine solche Art den Marktfrauen nicht im Wege und andererseits konnten wir das ganze Marktgeschehen gut im Blick zu behalten.
Es war dort viel los. Den größten Teil des Publikums machen allem Anschein nach die Vorbeireisenden aus. Nicht umsonst liegt die Stadt Armjansk an einer sehr gut frequentierten Autostraße gleich im Norden der Krim. Ob aus der Richtung Odessa, Kiew oder Russland kommend – alle fahren über Armjansk. Und haben sie Hunger, lassen sie sich von den hiesigen Kochengeln bewirten.
Während wir uns beim Schlemmen mit unserem Wein aufwärmten und uns über den Ort und seine größte, nahezu Baedecker-reife Sehenswürdigkeit austauschten, flaute der Marktbetrieb etwas ab. Die nun etwas gelangweilten Frauen fingen an, uns beide eingehender zu studieren. Vorsichtig fädelte eine von den Frauen das Gespräch mit uns ein: „Schmeckt es Euch?“ fragte mich die Frau, bei der ich gerade mein Essen erstanden hatte. „Mm! Danke, alles ist vorzüglich, antwortete ich. Wie schaffen Sie es nur, einen so guten Dressing zu machen?“ – „Oh, das ist mein Firmengeheimnis“, erwiderte mir meine Bewirterin, eine schmächtige Frau von Mitte 50 in schwarze Lederjacke und eine weiße Strickmütze gekleidet. Geschmeichelt schenkte sie mir ein fast amerikanisches Lächeln – eine Reihe von Gold- und Silberzähnen kamen im Glühbirnenlicht gut zur Geltung. „Lassen Sie mich einmal raten, setzte ich unser Gespräch fort. Sie sind ganz sicher gelernte Köchin, nicht wahr?“ – „Da liegen Sie aber ganz falsch, meine Liebe! Bis vor einigen Jahren konnte ich nur sehr schlecht kochen. Ich bin Grundschullehrerin. Aber wie ernährt man heutzutage mit so einem Beruf seine Familie? Vor fünf Jahren ging ich in Frühpension und meldete dieses Gewerbe hier an“, erklärte mir meine nette Gesprächspartnerin, Swetlana Wassiljewna, wie sie sich uns vorstellte.
Nun waren wir dran. Jetzt sollten wir berichten, was wir sind, ob wir in Deutschland lebten sowie wo und warum wir auf der Krim gewesen waren. Wir erzählten kurz über uns. Als es darum ging, dass wir nicht in Deutschland und nicht in Kiew lebten, wurde Swetlana etwas enttäuscht. Was wir beruflich machen, darüber ließen wir sie raten. Nachdem Swetlana einige Male falsch getippt hatte, holte sie ihre Kollegin, eine große rothaarige Frau in zwei dicken Pullis, rot über beige übereinander, gehüllt, und in schwarze Lederjacke gekleidet, zu Hilfe. Vera, so hieß sie, war 43 und ehemalige Krankenschwester. Auch sie musste den gelernten Beruf aufgrund einer miserablen Bezahlung aufgeben. Hier am Markt verdiene man zwar keine Reichtümer, aber man habe letztendlich ein konstantes Einkommen. Es gab Zeiten, daran konnten sich die Beiden sehr gut erinnern, so mussten sie zwei oder sogar drei Monate lang ohne ihren Arbeitslohn auskommen. Er wurde vom Staat schlichtweg nicht ausgezahlt. So erging es den meisten ihrer Kolleginnen. Jetzt haben sie alle mindestens ein sicheres Brot. Gearbeitet werde von Mittag bis in die Mittemacht oder sogar länger. Solange der Kunde reicht, sozusagen. Einfach sei ihre Arbeit nicht: Im Winter sei es am härtesten, wenn es kalt und windig ist und der Wind wie verrückt durch die Steppe weht, und sie es trotzdem aushalten müssen. Im Winter kommen auch kaum Touristen.
„Wollen Sie vielleicht Nachschlag?“ fragte uns Swetlana. „Sehr gerne!“ erwiderten wir und ließen uns etwas mehr auflegen. Als Rückgeste boten wir unseren netten Gastwirtinnen etwas von unserem Wein an. Über dieses Angebot hocherfreut, ließen sie sich einschenken. Wir stießen auf unsere Begegnung an. Der Wein zeitigte seine Wirkung und machte unsere ohnehin redseligen Trinkkumpaninnen noch auskunftsfreudiger.
Hier am Stand sei das Berufe-Raten ein beliebtes Spiel, berichteten sie uns. Sie selbst seien darin mittlerweile richtige Profis. Einige Berufsgruppen würden sie neuerdings spielerisch erkennen. Den Händlern stehe ihre Tätigkeit ja nahezu ins Gesicht geschrieben. Diese Sorte Menschen mache ganz bestimmt über die Hälfte der Vorbeireisenden aus. Dabei spezialisierten sich die Männer meistens auf Elektrotechnik, die Frauen auf Kleidung und Haushaltsware. Sonntags führen hier die meisten Händler vorbei und sie kämen nicht selten busweise. Sonntags ist bekanntlich überall ein Großmarkttag, dann herrscht ein großer Betrieb von Jalta nach Odessa oder umgekehrt. An Wochenenden liefe das Geschäft für alle Marktfrauen perfekt. In Armjansk, man darf sich bloß nicht täuschen lassen, seien nicht nur Händler und Touristen anzutreffen. Sogar Kino-Stars und berühmte Pop-Sänger seien von gastfreundlichen Armjankskerinnen bereits bewirtet worden. Der eine habe ihnen sogar vorgesungen. Es sei so schön gewesen, dass sie ihn nicht wegfahren lassen wollten! Kunden welcher Nationalität sie am liebsten mögen? – Das sei ihnen aber wirklich ganz egal! „Soll ich Ihnen verraten, wer uns am liebsten ist?“ fragte mich Swetlana Wassiljewna. Sie ging näher an mich heran und flüsterte mir verstohlen ins Ohr: „Die Betrunkenen!“ Verständnislos starrte ich sie an. Ihre Erklärung folgte unverzüglich: Wenn Angetrunkene ankommen, kaufen sie sich Berge von Essen, alles querbeet! Dadurch werden die Marktkassen voller und die Koch-Mühen anständig belohnt. Nein, sie selbst würden während der Arbeit nie trinken, es sei denn, man lädt sie nett dazu ein – wie gerade wir …
„Heißer Borschtsch! Piroggen mit Kraut, mit Fleisch und mit Innereien!“ verlautete es vom anderen Ende der Verkaufsreihe. „Kuchen, Törtchen und Pralinen!“ stimmte eine zweite Stimme an. Das Anpreisungslied der Frauen machte eine neue Runde: Die nächste Kundenladung war gekommen.
Ob diese auch Händler waren? Um das zu erraten, war unser Auge noch viel zu ungeschult. Vier gut genährte Burschen mit kurzem Haarschnitt entstiegen aus einem Minibus. Ihnen folgten fünf Frauen, alle aufgemacht und geschminkt wie für eine wilde Party (was in den hiesigen Breiten allerdings nichts zu bedeuten hat). Eine der Frauen, eine grell-blond gefärbte Person in ihrer wie ein Schachbrett weiß-schwarz-karierten Strumpfhose – weckte bei allen männlichen Marktbesuchern helle Begeisterung aus. Wie auf ein Kommando drehten sie sich um und verschlangen mit ihren Augen das blondierte Karo-Mädchen samt ihren langen kräftigen Beinen, die fast fließend in den Gummiband ihrer taillierten Lackjacke übergingen, anstandshalber abgesetzt durch einen schmalen Streifen Minirock.
Während die Marktfrauen ihre Köstlichkeiten um die Wette lobten, verschafften sich die großtuerischen dicke-Geldbeutel- Männer eine Übersicht über das Angebot an den Ständen, wobei sie sich von ihren schicken Begleiterinnen beraten ließen. Sie alle schienen anständig angeheitert und recht gut drauf zu sein. Sie alle hatten großen Hunger. Sie kauften Berge an Sachen und führten uns die These der Marktfrauen vor Augen – ein Gast in der Rauschstimmung ist der Beste.
Die Nachbarin von Swetlana und Vera machte mit ihren letzten Kunden das beste Geschäft ihres Tages. Dann fing sie an, mit dem triumphierenden Lächeln ihre Sachen zu packen und wechselte dabei mit uns ein paar Sätze. Als die Minibus- Gruppe abgezogen war, offenbarte sie uns etwas Schreckliches: „Haben Sie es gesehen? Es sind Banditen gewesen, Banditen aus Odessa! Die kennen wir! Sie sind beinahe unsere Stammgäste. Aber große Vögel, ich schätze Diebe im Gesetz!“
Von unserer nächsten Gesprächspartnerin, sie hieß Nadeschda, erfuhren wir, dass sie Chemikerin war und ihr ganzes Leben im „Titan“, dem Chemie-Werk von Armjansk gearbeitet habe. Ca. 6.000 Menschen beschäftigt das Werk. Sie kommen aus der ganzen Umgebung. Die Arbeit in dem anilokrasotschnyj savod hatte Nadja, der heute 50-Jährigen, beinahe ihr Leben gekostet. Kurz bevor es zu spät war, konnte sie sich retten. Sie habe im Werk aufgehört und mit einem neuen Job angefangen – als freie Unternehmerin auf diesem Markt.
Obwohl sie wesentlich älter aussah als sie tatsächlich war, strahlte Nadja eine unsagbare Lebensfreude aus. „Du bist also Deutscher?“ verpasste sie Florian fröhlich einen Stoß. Als er die Frage lächelnd bejahte, ging sie automatisch dazu über, Florian Hans zu nennen. In der russischen Version hörte sich dieser Name wie Gans an. Jedes Mal, wenn ich ihr „Gans“ hörte, brach ich ins Lachen aus, was sicherlich nicht nur an Nadjas Aussprache, sondern auch am Wein lag, der, an der kalten Luft getrunken, besonders wohlschmeckend war und sehr wärmend wirkte.
„Weißt du, Mensch, sprach Nadja zu Florian, ich wollte mein ganzes Leben lang immer einen deutschen Mann heiraten! Einen Gans wie dich – blond, schlank, ordentlich!“ Das Leben meinte es aber anders mit Nadja und teilte ihr „bloß einen Ukrainer“ zu.
„Sind denn die Ukrainer als Ehemänner so übel? Fragte ich sie verwundert. Ich dachte, ukrainische Männer seien arbeitsam und auf das Wohl ihrer Familien sehr bedacht“… Ohja, als Ehemann sei auch Nadjas Ukrainer wirklich recht anständig gewesen.
Was nicht zusammenpasste, waren deren beider Temperamente, die sich wie zwei Tropfen Wasser glichen. Deshalb wären in Nadjas Familie immer nur die Fetzen geflogen, so dass sie und ihr Mann auseinander gehen mussten. Jetzt sei Nadja wieder alleine stehend. Und das gäbe ihr einen Grund, wieder einmal von einem deutschen Gans zu träumen. Anständig soll er sein, bekräftigte sie es mit Ausdruck, kein Perverser und – bitte schön – wohlhabend, das aber mäßig, sprich: nicht zu reich. Mit reichen Männern sei es so eine Sache. Viele von ihnen, so habe sie zumindest gehört, seien maniakalisch oder pervers. Außerdem habe sie, einfache Werkarbeiterin, mit dieser Sorte Männer überhaupt keine Erfahrung. Dazu käme ein weiteres Problem, das da wäre: Wem könnte sie in ihrem jetzigen Zustand überhaupt noch gefallen? Sie, mit ihren fehlenden Vorderzähnen und mit ihrer ruinierten Gesundheit? Einem deutschen Greis vielleicht? Den sie dann mit ihren frischen hausgemachten Speisen verwöhnen würde. In ihrem etwas verbitterten unnachahmlichen Sarkasmus zwinkerte mir Nadja zu: „Könnt ihr mir das nächste Mal einen deutschen Greis mitbringen?“ Uns blieb nichts anderes übrig als es zu tun …
„Und für uns bitte auch jeweils einen!“ stimmten Swetlana und Vera beseelt ein. Ein Mann auf Vorrat, besonders einer aus Deutschland, könne einer ukrainischen Frau in der Blüte ihrer Jahre doch nie schaden.
Ob wir ihnen zum Abschied unsere Berufe verraten würden? .. Sie seien bei uns absolut ratlos und mit ihren Ideen völlig am Ende. Wenn wir weder Architekten, noch Hochschullehrer noch Schauspieler seien, was machten wir denn sonst?
„Halt! Ich glaube, ich komme jetzt langsam auf den grünen Zweig! verlautbarte Vera. Die beiden sind Journalisten. Warum wohl interessieren sie sich so eingehend für unser mit euch Leben, wo es sonst keiner tut?“ Wir würden, so tippte sie, ganz bestimmt über ihre wunderbare Stadt schreiben und ganz Armjansk zusammen mit seinem Markt durch die Welt berühmt machen.
Das blieben wir ihnen, den netten Armjanskerinnen allerdings schuldig. Wo wir ihnen keine deutschen Männer verschaffen können …