Proteste gegen Wahlfälschung dauern an Demonstranten werden verhaftet EU will Bericht der OSZE abwarten.
von Florian Kellermann
und Tatjana Montik, Minsk
„Die Proteste bedeuten die Wiedergeburt Weißrusslands als Nation“ Alexander Milinkewitsch Auch am dritten Tag nach der Wahl in Weißrussland haben Hunderte Oppositionsanhänger gegen das manipulierte Ergebnis protestiert. Die Bürger stießen dabei auf zunehmend scharfe Repressalien der Obrigkeit. So wurden gestern alle Minsker Bürger verhaftet, die den auf dem Oktoberplatz kampierenden Demonstranten Nahrungsmittel bringen wollten. Vorübergehend wurden außerdem die beiden Söhne des Oppositionskandidaten Alexander Milinkewitsch festgehalten. Bis zum frühen Abend wurden nach Angaben der Opposition mehr als 100 Aktivisten abgeführt.
Schon in der Nacht zu gestern hatte es etwa 30 Verhaftungen gegeben. Nach Angaben des Bürgerrechtlers Walentin Stefanowitsch haben mehrere Gerichte schon Freiheitsstrafen über zehn Tage wegen „geringfügiger Störung des öffentlichen Friedens“ verhängt. Milinkewitsch, der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat der Opposition, trat wiederholt vor den Demonstranten auf. „Die Proteste der vergangenen Nacht bedeuten die Wiedergeburt Weißrusslands als Nation“, sagte er und bekräftigte seine Forderung nach Neuwahlen. Nach Medienberichten plante Milinkewitsch aber angesichts der schwindenden Zahl der Demonstranten, zu einer Protestpause bis Samstag aufzurufen.
Weder die EU-Kommission noch das US-Außenministerium haben die Wahl in Weißrussland anerkannt. Dem offiziellen Ergebnis zufolge errang der Amtsinhaber Alexander Lukaschenko über 82 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag angeblich bei über 90 Prozent. Lukaschenko zeigt sich von den Protesten im In- und Ausland unbeeindruckt. Von einer Fälschung der Wahl könne keine Rede sein, erklärte er am Montag bei einer Pressekonferenz. Drohungen, die EU könne wirtschaftliche Sanktionen erheben, kommentierte er mit einer Gegendrohung: „Wenn die Europäer Probleme wollen, können sie die bekommen.“
Wie bei den Protesten in der Ukraine vor anderthalb Jahren stellten die Demonstranten in Minsk in der Nacht zu gestern Zelte auf dem Oktoberplatz auf. Etwa 1000 blieben trotz tiefen Frostes. Gestern Nachmittag bildeten die Anwesenden einen Ring um das Zeltlager. So wollten sie eine Stürmung durch Mitarbeiter der Polizei, die in schwarzen Tarnanzügen gekommen waren, verhindern. „Ich möchte zeigen, dass wir nicht alle diese sowjetische Angsthasenmentalität haben und es noch mehr gibt im Leben, als satt zu sein“, sagte die 74-jährige Rentnerin Jadwiga Josefna, eine ehemalige Lehrerin. Im dichten Schneetreiben saß sie auf den Stufen des U-Bahn-Eingangs neben dem Zeltlager mit der alten, weiß-rot-weißen Fahne Weißrusslands in der Hand.
Die Verhaftungen fanden vor allem einige Meter abseits des Zeltlagers statt. Der 20-jährige Student Jan etwa entging nur knapp einer Festnahme, als er in der U-Bahn-Station am Oktoberplatz Decken für die Protestierenden abholen wollte. „Sie drohten mir, ich würde kahl geschoren, mit Pennern und Kriminellen zusammen eingesperrt. Denen könne ich dann erzählen, was Freiheit ist“, berichtete er. Das aggressive Vorgehen der Polizei erklären Insider damit, dass
die Zahl der internationalen Pressevertreter in Minsk gestern schon merklich abgenommen hatte. Befürchtet wird, dass auch den Anführern der Opposition eine strafrechtliche Verfolgung droht. Alexander Lukaschenko deutete dies bereits an. Sein Gegenkandidat Alexander Kosulin, Chef der sozialdemokratischen Partei, habe im Wahlkampf „Verbrechen“ begangen, erklärte er. Und auch Milinkewitsch werde vor Gericht gebracht, falls ihm Gesetzesverstöße nachzuweisen seien, so Lukaschenko. Mit Konsequenzen rechnen die meisten Demonstranten. „Wenn das Dekanat davon Wind bekommt, dass wir hier sind, fliegen wir von der Uni“, sagt die 18-jährige Marissja. „Aber uns gibt Mut, dass wir auch einige Professoren hier gesehen haben.“
Die EU will erst über Sanktionen entscheiden, wenn der OSZE-Bericht zur Wahl vollständig ausgewertet ist. Russlands Präsident Wladimir Putin hat dem ausgerufenen Sieger Lukaschenko gratuliert.