«In der Sternwarte lebten wir im Kommunismus»

Tatiana Montik
Автор
Tatjana Montik, журналист
Дата последнего обновления:
25 июля, 2023

Die Geschichte der Sternwarte von Abastumani.

Abastumani ist eigentlich ein gemütliches romantisches Kurort-Städtchen im Mittelgebirge Georgiens. Der Hofastronom der russischen Zarenfamilie hatte jedoch bemerkt, wie günstig das Klima dort für astronomische Forschungen ist: mit seinen zahlreichen klaren Nächten und seiner ruhigen Luft. 1932 entstand oberhalb der Stadt eine Sternwarte, eine Musterstadt der sowjetischen Wissenschaft.

Von Tatjana Montik

Wenn man mit dem Auto unterwegs ist, so gelangt man von der einst blühenden Kurstadt Abastumani über eine Serpentinenstraße nach oben zur Sternwarte. Wenn man es aber romantischer haben möchte, fährt man mit der Seilbahn hoch. Die Auffahrt dauert nur vier Minuten. Dabei schaut man auf den schneebedeckten Wald und auf die umliegenden Berge.

Für den Tiflisser Ingenieur Alexander Awsadschanischwili ist Abastumani zur zweiten Heimat geworden:

«Herzlich Willkommen in unserer Sternwarte! Wir befinden uns auf einer Höhe zwischen 1603 und 1704 Metern über dem Meerespiegel. Das gesamte Gelände erstreckt sich über 1,5 Kilometer.»

Alexander Awsadschanischwili stieß 1984 zum Sternwarte-Team, in dem er zehn Jahre als technischer Fachmann gearbeitet hat. In den besten Zeiten haben in diesem Wissenschaftsstädtchen bis zu 400 Menschen gelebt und gearbeitet. Moderne Wohnblöcke, ein Geschäft, eine Bibliothek, eine Kantine, und sogar ein eigenes Kino – alles sorgte für den Komfort der Mitarbeiter und ihrer Familien.

Ein Leben wie in den Kinderbüchern

Die Abgeschiedenheit dieses Ortes hat jedoch viele abgeschreckt, erinnert sich der 61-jährige Awsadschanischwili. Diejenigen, die blieben, hatten viel Zeit zum Wandern, Lesen und zum Gitarre-Spielen, aber natürlich auch zur ungestörten wissenschaftlichen Forschung:

«Wir beschäftigten uns mit einer äußerst interessanten Arbeit. Unser Chef, Juri Matyschwili, war ein Mann von hellstem Verstand, und er stellte uns vor viele spannende Aufgaben: Wir untersuchten die mittleren Schichten unserer Atmosphäre, zwischen 40 und 120 km, und wir stießen dabei auf erstaunliche Entdeckungen! Hätte sich in der Politik nichts verändert, würde ich bis heute hier arbeiten.»

Olga Sowa, Tochter eines Astronomen, wuchs in der Sternwarte auf. Es sei ein Leben wie in den Kinderbüchern gewesen, erinnert sie sich: Die Kinder unternahmen mehrtägige Wanderungen, erfanden spannende Spiele und agierten unabhängig. Die heute 44-jährige Olga lebt in Tiflis, aber bei jeder Gelegenheit kommt sie in die Sternwarte zurück, wo ihre Familie immer noch eine Wohnung hat:

«Wir waren alle eine große Familie»

«Ich hatte eine zauberhafte Kindheit! Wir Kinder fühlten uns frei und eins mit der Natur! Damals strebten wir, wie es hieß, den Kommunismus an. Erst jetzt verstehe ich: In der Sternwarte lebten wir im Kommunismus! Denn hier hatten wir eine Kommune, recht isoliert vom Rest der Welt. Wir teilten alles miteinander, wir waren alle eine große Familie, und diese Bände bestehen bis heute.»

Olga erzählt, die Winter in der Sternwarte seien lang und hart gewesen, aber früher hatte man immerhin Zentralheizung und Heißwasserleitungen. Zur Schule fuhren die Kinder in die Kurstadt hinunter. Die Kinder von der Sternwarte fühlten sich privilegiert:

«Wir gehörten zur Elite. Unsere Eltern gaben sich Mühe, uns Kinder mit einzubeziehen, wenn am Himmel besondere Ereignisse wie die Parade der Planeten, ein Kometen-Flug, Vollmond oder eine Sonnenfinsternis stattfanden. Sie zeigten und erklärten uns alles. Wir fühlten uns immer im Zentrum der Ereignisse.»

Stillstand in einer sich schnell entwickelnden Wissenschaft

Auch Ingenieur Alexander Awsadschanischwili und seine Frau, eine Astronomin, haben in der Sternwarte eine möblierte Wohnung behalten. Sie liegt in einem stalinistischen Pracht-Bau, der etwas verfallen aussieht.

Um heute in der Wohnung zu heizen, muss man einen kleinen Ofen betreiben und dafür Holz hacken. Für einen Winter brauche man 2 bis 3 Kubikmeter Holz, erzählt Alexander.

Die Zentralheizung ist in den Zeiten des Bürgerkrieges in den 1990er Jahren zusammengebrochen. Als die Sowjetunion zerfiel, endete auch das glückliche Leben der Sternwarte-Bewohner. Die Wissenschaftler mussten ihre Kleidung bei den Bauern aus den umliegenden Dörfern gegen Lebensmittel tauschen.

Dennoch ging man jede Nacht Sterne beobachten, erinnert sich der Astronom Eduard Dschaniaschwili:

«Man muss sich mit der Astronomie jeden Tag beschäftigen, denn diese Wissenschaft entwickelt sich sehr schnell. So war es auch damals. Wir hatten keinen Strom, kein Geld, aber wir machten unsere Sache weiter.»

Der Tick der Astronomen

Heute wird die Sternwarte von nur 110 Menschen bevölkert. Nur fünfzehn Astronomen arbeiten in der Sternwarte, wobei viele von ihnen zwischen Abastumani und Tiflis pendeln. Im heutigen Georgien gehören die Astronomen leider nicht mehr zur Elite. Ihr Gehalt beträgt umgerechnet 300 Euro im Monat. Auch ihre Ausrüstung ist inzwischen veraltet. Von den einst sieben Teleskopen funktionieren heute nur noch zwei.

Dennoch wird das Leben der Sternwarte durch Enthusiasten wie Giorgi Dschawachischwili aufrechterhalten:

«Alle Astronomen sind Fanatiker. Man muss wirklich etwas verrückt sein, um Astronom zu werden. Denn statt ruhig in seinem Bett zu schlafen, geht man nachts in den Himmel schauen. Sobald der Himmel klar wird, haben wir Astronomen einen Tick: ‘Wie kann ich jetzt zu Hause sitzen, wenn der Himmel so günstig ist? Vielleicht verpasse ich gerade jetzt etwas Besonderes?'»

Hingabe und Enthusiasmus

Die meisten Astronomen sind Nachtmenschen. In einer kalten, klaren Winternacht kommen wir in eine der Sternwarten-Kuppeln, um die Mondoberfläche aus der Nähe zu betrachten. Fasziniert schauen wir in den Himmel. Das Teleskop ergibt ein Bild von 250-facher Vergrößerung. Krater und Berge des Mondes liegen vor uns wie auf einer Handfläche.

Giorgi Dschawachischwili ist ein eingefleischter Astronom. Mit seiner Sternen-Sucht könne er jeden anstecken, sagt seine Frau Eka:

«Am Anfang unserer Beziehung kam ich mit Giorgi nach Abastumani. Am Abend sagte er zu mir: ‘Komm, ich zeige Dir den Saturn!’ Und dies klang so natürlich! Und es war so romantisch! Ich werde das nie vergessen: Wir unter dem freien Himmel, die Sterne über uns, es war zauberhaft! Als würden wir gleich dort hinfliegen können!»

Die lange Tradition der Astronomie in Georgien lebt weiter durch Hingabe und Enthusiasmus der alten Garde der Wissenschaftler. Doch eine neue Astronomen-Generation wächst heran. An der Uni von Tiflis gibt es neue gute Astronomie-Studenten, die Hoffnung versprechen.

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